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Beginn der Entscheidung

Gericht: Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 12.08.2003
Aktenzeichen: 17 Ta 271/03
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 78
ZPO §§ 567 ff
ZPO § 320
Eine sofortige Beschwerde ist auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren gegen einen Beschluss, der einen Tatbestandsberichtigungsantrag zurückweist, statthaft, wenn dieser Antrag wegen der Versäumung der Frist des § 320 Abs. 2 S. 3 ZPO zurückgewiesen wurde.

Bei diesem Beschluss wirken nur die ehrenamtlichen Richter mit, die das Urteil gefällt haben, wenn die Vorsitzende oder der Vorsitzende als Berufsrichter verhindert ist.


Hessisches Landesarbeitsgericht Beschluss

Aktenzeichen: 17 Ta 271/03

In dem Beschwerdeverfahren

hat die Kammer 17 des Hessischen Landesarbeitsgerichts auf die sofortige Beschwerde d. Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts in Offenbach am Main vom 16. Juni 2003 durch den Richter am Arbeitsgericht Dr. Becker als Vorsitzenden

am 12. August 2003 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 16. Juni 2003 - 6 Ca 374/01 - wird auf Kosten der Beschwerdeführerin nach einem Beschwerdewert von € 4.561,00 zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten in der Hauptsache um die Wirksamkeit mehrerer seitens des Beklagten ausgesprochenen Kündigungen.

Mit seinem am 13. Dezember 2002 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht Offenbach - 6 Ca 374/01 - der Klage nur teilweise stattgegeben, im übrigen abgewiesen, so dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nach diesem Urteil zum 22. Januar 2002 sein Ende gefunden hat. Wegen der Gestaltung und des Inhalts dieses Urteils wird auf Bl. 360 - 373 d. A. Bezug genommen. Nach dem Vermerk auf dem Urteilsdeckblatt ist dieses Urteil am 17. Februar 2003 zur Geschäftsstelle gelangt und der Klägerin am 13. März 2003, dem Beklagten am 13. März 2003 zugestellt worden. Dies ergibt sich aus den anwaltlichen Empfangsbekenntnissen (Bl. 374f d. A.).

Mit Schriftsatz vom 25. März 2003, per Fax laut Eingangsstempel beim Arbeitsgericht Offenbach am 24. März 2003 eingegangen, hat die Klägerin die Berichtigung des Tatbestands des am 17. Februar 2003 verkündeten Urteils - 6 Ca 374/01 - beantragt. Wegen der Gestaltung, des Inhalts und der Begründung dieses Tatbestandsberichtigungsantrags wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 25. März 2003 (Bl. 386ff d. A.) Bezug genommen.

Die Vorsitzende der Kammer 6 des Arbeitsgerichts Offenbach, die das Urteil - 6 Ca 374/01 - am 13. Dezember 2002 verkündet und den Urteilstatbestand und die Entscheidungsgründe abgesetzt hat, ist nicht mehr als Richterin in der Hessischen Arbeitsgerichtsbarkeit tätig. Mit Beschluss vom 3. April 2003 hat sich der mittlerweile den Vorsitz ausübende Richter Gaumann für die Entscheidung über den Tatbestandsberichtigungsantrag für unzuständig erklärt. Wegen des Inhalts und der Gestaltung dieses Beschlusses wird auf die Ausfertigung vom 3. April 2003 (Bl. 97 d. A.) Bezug genommen. Mit Schriftsatz vom 10. Juni 2003 ist der Beklagte dem Tatbestandberichtigungsantrag entgegen getreten und hat die Zurückweisung beantragt. Wegen der Gestaltung und des Inhalts diese Schriftsatzes vom 10. Juni 2003 wird auf Blatt 402ff d. A. bezug genommen.

Mit Beschluss vom 16. Juni 2003 hat das Arbeitsgericht Offenbach - 6 Ca 374/01 - den Tatbestandsberichtigungsantrag nach mündlicher Verhandlung zurückgewiesen. Gegenwärtig in dieser Verhandlungen waren als Mitglieder des Spruchkörpers die ehrenamtliche Richterin sowie der ehrenamtliche Richter. Nach geheimer Beratung wurde sodann in dieser Besetzung des Spruchkörpers ein den Tatbestandsberichtigungsantrag zurückweisender Beschluss verkündet. Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2003 wird auf die Sitzungsniederschrift vom gleichen Datum (Bl. 406f d. A.) Bezug genommen. Wegen der Gestaltung und des Inhalts des Beschlusses des Arbeitsgerichts Offenbach vom 16. Juni 2003 wird auf die Ausfertigung (Bl. 409 ff d. A.) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat in seiner Rechtsmittelbelehrung das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde für statthaft erklärt. Dieser Beschluss wurde dem Vertreter der Klägerin am 18. Juni 2003 (Bl. 413 d. A.) zugestellt.

Mit ihrer beim Hessischen Landesarbeitsgericht am 30. Juni 2003 eingereichten sofortigen Beschwerde beantragt die Beschwerdeführerin, den Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 16. Juni 2003 - 6 Ca 374/01 - für gegenstandslos zu erklären.

Zur Begründung führt die Beschwerdeführerin an, dass im arbeitsgerichtlichen Verfahren Beschlüsse von den ehrenamtlichen Richtern alleine nicht erlassen werden könnten.

Mit Beschluss vom 28. Juli 2003 hat das Arbeitsgericht Offenbach in der gleichen Besetzung wie bei der Ausgangsentscheidung vom 16. Juni 2003 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Wegen der Gestaltung und des Inhalts dieses Nichtabhilfebeschlusses wird auf Bl. 481 d.A. Bezug genommen.

Der Beschwerdegegner verteidigt den angefochtenen Beschluss mit der Begründung, dass die ehrenamtlichen Richter die gleichen Rechte und Pflichten wie die Berufsrichter hätten.

II.

Die nach § 78 ArbGG iVm §§ 567 Abs. 1, 569 Abs. 1 und 2, 571 Abs. 1 und 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist unbegründet und damit kostenpflichtig zurückzuweisen.

1. Die von der Beschwerdeführerin eingelegte sofortige Beschwerde ist statthaft. Das Arbeitsgericht hat zu Recht in der Rechtsmittelbelehrung auf das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde Bezug genommen. Im vorliegenden Fall ist nämlich, obwohl § 46 Abs. 2 ArbGG iVm § 320 Abs. 4 S. 3 ZPO bestimmt, dass eine Anfechtung des Beschlusses über eine Tatbestandsberichtigung nicht stattfindet, eine sofortige Beschwerde statthaft. Das Arbeitsgericht Offenbach hat nämlich in der angefochtenen Entscheidung nicht Bezug genommen auf die sachlichen Einwände und Erwägungen im Zusammenhang mit der Herstellung des Urteilstatbestandes, sondern entscheidend auf die 3-Monats-Frist des § 320 Abs. 2 S. 3 ZPO abgestellt. Der Berichtigungsbeschluss ist aber dann anfechtbar, wenn in ihm sachlich nicht entschieden, also aus prozessualen Gründen eine Entscheidung über den Antrag abgelehnt wird, wie dies bei der Zurückweisungsentscheidung gemäß § 320 Abs. 2 S. 3 ZPO anzunehmen ist. In einer solchen Situation geht es nicht um die Herstellung des erstinstanzlichen Urteils und seines Tatbestandes, sondern um objektive Ereignisse, wie nämlich den Verkündungstag und dem daran anschließenden Ablauf der 3-Monats-Frist. Dies kann aber im Rahmen des Verfahrens der sofortigen Beschwerde vom Rechtsmittelgericht anhand der Schriftstücke und des Akteninhalts nachgeprüft werden. Der Rechtsmittelrichter greift mit seiner Entscheidung im Beschwerdeverfahren dann nicht in die eigens vom Erstgericht durchgeführte Sachverhaltsfeststellung und Abfassung des Tatbestandes ein.

Im übrigen ist die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin nach Zustellung des Beschlusses vom 16. Juni 2003 am 18. Juni 2003 fristgerecht und formgerecht eingelegt und begründet worden, § 78 ArbGG iVm §§ 567 Abs. 1, 569 Abs. 1 ZPO.

2. In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg, da das Arbeitsgericht Offenbach zulässigerweise in der Besetzung der beiden ehrenamtlichen Richter den Tatbestandsberichtigungsantrag zurückgewiesen hat.

Gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG iVm § 320 Abs. 4 S. 2 ZPO gehören dem Entscheidungsorgan zur Tatbestandsberichtigung nur die an der zu ergänzenden Entscheidung mitwirkenden Richter an. Da für den vorliegenden Fall von einer Verhinderung der ehemaligen Vorsitzenden der Kammer 6 des Arbeitsgerichts Offenbach auszugehen ist, haben die ehrenamtliche Richterin und der ehrenamtliche Richter zu Recht in dieser Besetzung ohne eine Berufsrichterin bzw. einen Berufsrichter entschieden. Nach dem insoweit klaren Wortlaut des § 320 Abs. 4 S. 2 ZPO haben nur diejenigen Richter über den Tatbestandsberichtigungsantrag zu entscheiden, die bei dem Urteil mitgewirkt haben. Bei Verhinderung einzelner Richter entscheidet der Spruchkörper in der verbleibenden, reduzierten Besetzung. Die Bestimmungen in § 320 Abs. 4 S. 2 und 3 ZPO bilden insoweit eine Abweichung von den §§ 192 Abs. 1, 105 Abs. 1 und 122 Abs. 1 GVG. In diesen Bestimmungen geht der Gesetzgeber davon aus, dass bei Entscheidungen Richter nur in der gesetzlich bestimmten Anzahl mitwirken dürfen. Wenn nun aber § 320 Abs. 4 S. 2 und S. 3 ZPO zum einen festlegen, dass nur die bei der Entscheidung mitwirkenden Richter zu entscheiden haben bzw. der Verhinderungsfall besonders geregelt wird, so ist auch für das Arbeitsgerichtsverfahren gem. § 46 Abs. 2 ArbGG davon auszugehen, dass der Gesetzgeber insoweit der sachlichen Entscheidungskompetenz der mitwirkenden Richter den Vorrang vor einer numerischen Regelbesetzung einer arbeitsgerichtlichen Kammer eingeräumt hat. Deswegen haben für den Fall der Verhinderung des Vorsitzenden über die Berichtigung die ehrenamtlichen Richter der arbeitsgerichtlichen Kammer, die das Urteil verkündet hat, allein zu entscheiden.

Soweit die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeschrift auf eine Stelle aus der Kommentarliteratur verweist (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl. § 320 Rn18) so ist diese Auffassung unter Bezugnahme auf den Beschluss des Arbeitsgerichts Hanau vom 20. Juli 1995 (3 Ca 412/94, BB 1996, S. 539) mittlerweile aufgegeben worden (Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 320 Rn18).

Soweit das Arbeitsgericht Hanau in der vorzitierten Entscheidung sowie der Beschwerdegegner darauf abheben, dass die ehrenamtlichen Richter im arbeitsgerichtlichen Verfahren mit dem Berufsrichter grundsätzlich gleichberechtigt seien, so ist dem folgendes hinzuzufügen. Es geht für den vorliegenden Zusammenhang weniger um die Gleichberechtigung und das Stimmverhalten der Berufsrichter im Verhältnis zu den ehrenamtlichen Richtern, sondern um die Entscheidungsnähe und Sachkompetenz, um den Angriffen im Hinblick auf eine begehrte Tatbestandsberichtigung folgen zu können. Genau deshalb hat der Gesetzgeber in § 320 Abs. 4 S. 2 und 3 ZPO sichergestellt, dass bei der Entscheidung über den Tatbestandsberichtigungsantrag nur diejenigen Richter mitwirken, die bei dem Urteil mitgewirkt haben. Würde man es nun zulassen, dass eine Vorsitzende oder ein Vorsitzender als Berufsrichter bei der Entscheidungsfindung im Berichtigungsverfahren mitwirkt, obwohl sie bei der letzten mündlichen Verhandlung, bei der Kammerberatung, bei der Urteilsfindung nicht mitgewirkt haben, würde dieses gesetzgeberische Ziel erheblich eingeschränkt. In diesem Zusammenhang ist auch die 3-Monats-Frist des § 320 Abs. 2 S. 3 ZPO zu sehen, der nämlich auch davon ausgeht, dass bei einem erheblichen Zeitablauf die für einen Tatbestandsberichtigungsantrag geforderte Sachnähe und Entscheidungsnähe zu stark beeinträchtigt ist. Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass der Wortlaut des § 320 Abs. 4 S. 2 ZPO, der systematische Zusammenhang zwischen § 320 Abs. 4 ZPO iVm den §§ 75, 105, 122 und 192 GVG und der systematische Zusammenhang mit der Frist des § 320 Abs. 2 S. 3 ZPO für die Besetzung des Spruchkörpers mit den beiden ehrenamtlichen Richtern spricht. Hinzu kommt die Zweckrichtung des Gesetzgebers, nämlich den Spruchkörper über den Tatbestandsberlchtigungsantrag entscheiden zu lassen, der aufgrund seiner Mitwirkung und prozessualen Kenntnisse am besten hierfür geeignet ist.

Im übrigen ist die Zurückweisung des Tatbestandsberichtigungsantrags im Beschluss des Arbeitsgerichts Offenbach vom 16. Juni 2003 rechtlich nicht zu monieren. Insbesondere hat das Arbeitsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass die Frist des § 320 Abs. 2 S. 3 ZPO abgelaufen war, als der Tatbestandsberichtigungsantrag beim Arbeitsgericht Offenbach eingegangen ist. Die Beschwerdeführerin macht insoweit auch keine Angriffe gegen den angefochtenen Beschluss geltend. Die Möglichkeit der Verlängerung der Frist des § 320 Abs. 2 S. 3 ZPO besteht auch dann nicht, wenn das Urteil erst so spät am Ende der 3-Monats-Frist zugestellt wird, dass durch den Ablauf der 2-Wochen-Frist des § 320 Abs. 1 ZPO diese Frist überschritten wird. Vorliegend ist das Urteil des Arbeitsgericht Offenbach - 6 Ca 374/01 - am 13. Dezember 2002 verkündet worden, während der Tatbestandsberichtigungsantrag frühestens am 24. März 2003, damit jedoch jenseits der 3-Monats-Frist, eingegangen ist.

Die unterlegene Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, § 46 Abs. 2 ArbGG iVm § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes ergibt sich aus einer Schätzung auf der Grundlage des § 3 ZPO. Dabei ist von einem Zehntel des festgesetzten Wertes des Streitgegenstandes im Urteil auszugehen, der auf € 45.612,37 festgesetzt wurde, zumal der Tatbestandsberichtigungsantrag Auswirkungen auf die erstinstanzlichen Feststellungen und damit Folgerungen für das Berufungsverfahren haben konnte.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da gemäß § 78 S. 2 ArbGG iVm § 72 Abs. 2 ArbGG kein gesetzlicher Grund hierfür ersichtlich ist. Damit ist dieser Beschluss unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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